ORATORIUM II

Jan Dismas Zelenka:

Magnificat D-Dur ZWV 108

Johann Sebastian Bach:

Weihnachtsoratorium Kantaten 1 – 3 BWV 248

Samstag 02. Dezember 2017, 20 Uhr,
St. Johanniskirche Würzburg

Marie F. Schöder, Sopran
Anneke Ulmer, Alt
Benjamin Glaubitz, Tenor
Martin Schicketanz, Bass

Bachchor Würzburg
La strada armónica (auf historischen Instrumenten)

Matthias Querbach, Leitung

Der Lobgesang der Maria – das Magnificat – zählt zu den bedeutendsten neutestamentlichen Gesängen. Seit den Anfängen der Kirchenmusik beschäftigen sich Komponisten immer wieder mit diesen Versen und bringen den Text aus dem Lukas-Evangelium auf mannigfaltige Art zum Klingen.
Zelenka, (1679-1745), ein Zeitgenosse Bachs, geboren in Tschechien, bewarb sich wie Bach, beide vergeblich, um den Hofkapellmeisterposten am Dresdener Hof unter Kurfürst Friedrich August II. In seinen Kompositionen verbindet Zelenka archaische Satztechniken mit seinerzeit modernen, expressiven Ausdruckmitteln – sein strahlendes und frisch wirkendes Magnificat ist hierfür ein gutes Beispiel.
Zelenkas Magnificat war in seiner Zeit sicherlich zur Verwendung im katholischen Hofgottesdienst gedacht. Von seiner versierten Satztechnik zeugen die vielfältig und abwechslungsreich nach strengen Satzregeln arrangierten Motive, die letztendlich in eine breit angelegten Amen-Doppelfuge münden. Die Musikwissenschaft vermutet, dass Johann Sebastian Bach das kompositorische Schaffen seines katholischen Kollegen schätzte. In Bachs Nachlass fanden sich einige Werke des verkannten Dresdner „Kirchen-Compositeur“.

Johann Sebastian Bachs wohl berühmtestes Werk ist das Weihnachtsoratorium: „Oratorium, welches die heilige Weynacht über in den beiden Haupt-Kirchen zu Leipzig aufgeführet wurde. Anno 1734“ – so lautete der Titel des gedruckten Textbuches, das zu den Festgottesdiensten zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag 1734 und dem Epiphaniasfest vom 6. Januar des folgenden Jahres an den Toren von St. Thomas und St. Nicolai verkauft wurde. In diesen beiden Hauptkirchen Leipzigs wurden die sechs Kantaten, aus denen sich das Gesamtwerk aufbaut, jeweils vormittags und nachmittags aufgeführt, wobei die Reihenfolge abwechselte.

Man ist verlockt, sich einmal in die damalige Funktion und Situation des heute berühmten und den Musikfreunden und gebildeten der ganzen Welt als „Weihnachts-Oratorium“ vertrauten Werkes zurückzuversetzen. Zuhörer der ersten Aufführungen waren die Mitglieder der beiden Gemeinden. Nicht ein rein musikalisches Interesse hatte sie in die Kirche geführt, sondern die selbstverständliche Pflicht des geistlichen Jahreslaufes und der Wunsch nach Erbauung. Solche Erbauung fanden sie in erster Linie in der Predigt, in den ihnen vertrauten Worten des Evangeliums, in der im Textbuch nachzulesenden Poesie des Textdichters und schließlich, soweit sie musikalisch waren, in der Musik. Wer Bibelwort und Poesie, aus denen sich zu jener Zeit ein Kantatentext zusammensetzte, vertont hatte, das war im Textbuch nicht angegeben, brauchte gar nicht angegeben zu werden, weil nicht ein neugieriges Konzertpublikum, sondern ausschließlich die Gemeindemitglieder, denen ihr Kantor eine vertraute Figur war, Zeugen der Aufführung waren.

Auch wenn Bach seine glücklicherweise erhaltene Partiturhandschrift vom Weihnachts-Oratorium nicht mit seinem Namen signiert hätte, wüsste man doch, dass nur er das herrliche Werk hätte komponieren können. Wer die Texte der Arien und Chöre gedichtet hat, ist zwar nicht ebenso durch Unterschrift dokumentiert, dennoch darf man vermuten, dass es der poetisch fruchtbare Christian Friedrich Henrici war, jener Leipziger Ober-Post-Kommissar und Steuereinnehmer, der unter dem Dichternamen „Picander“ für Bach schon viele Texte geliefert hatte, darunter solche für Arien und Chöre der „Matthäus-Passion“.

Bach hatte schon mehrfach Kantaten für die Gottesdienste der Weihnachtszeit schreiben müssen, aber erst im Winter 1734 beschloss er, die sechs Kantaten, deren jede einzeln aufzuführen war, dennoch in Bezug auf Zusammenhang und Ablauf zu einem in sich geschlossenen Ganzen zu verbinden.
So stellt sich die Frage nach der Einheit von musikalischer Substanz und poetisch-geistlichem Text ungleich komplizierter.

Bach hat nämlich nur die erzählenden Rezitative des Evangelisten, die Secco-Rezitative (nicht die Accompagnati und die vierstimmigen Choräle), mithin die musikalisch schlichtesten Bestandteile, für sein neues Werk auch wirklich neu komponiert.
Mit einigen Ausnahmen allerdings: neu schuf er auch die berühmte Sinfonie der Hirten und zwei Chöre, das mottethisch streng gearbeitete „Ehre sei Gott in der Höhe“ (Nr.21) und den tonmalerischen Einschub „Lasset uns gehen gen Bethlehem “ (Nr. 26).

Auch eine der Arien hat Bach neu komponiert, aber erst, nachdem er selbstkritisch bemerkt hatte, dass in diesem Fall die in der ganzen Barockmusik übliche und von der Musikwissenschaft als Parodieverfahren bezeichnete Praxis, eine früher geschriebene Vokalkomposition aus gegebenem Anlass mit einem neuen Text zu versehen, zu keinem ihn befriedigenden Resultat führte.

Dafür, dass die barocke Musikästhetik heute wieder verstanden wird, liefert gerade das Weihnachts-Oratorium den schlüssigen Beweis. Die als Inbegriff eines geistlichen Wiegenliedes allen Ohren und Herzen vertraute Arie „Schlafe, mein Liebster“ (Nr. 19) ging aus einer textlich besonders diskrepanten Parodie hervor. Die im musikalischen Wortlaut notengetreu übernommene Partitur stand in der schon erwähnten Geburtstagskantate „Die Wahl des Herkules“. Der dortige Text („Schlafe mein Liebster und pflege der Ruh, folge der Lockung entbrannter Gedanken! Schmecke die Lust der lüsternen Brust und erkenne keine Schranken!“) stellte dar, wie Herkules umbuhlt und eingeschläfert wurde. Schon allein seiner unfreiwilligen Komik wegen nimmt niemand von diesem Urtext Notiz. Unlösbar identifizierte sich dank Bachs Entscheidung und auf Grund einer generationenlangen Tradition die auf Urmotive von „Schlaf“ und „Ruhe“ gründende Tonsymbolik von Melodie, Harmonie und wiegender Bewegung mit dem musikalisch sublimierten Text als einem nicht mehr umzukehrenden Vorgang.

Die innere Einheit von Bachs Weihnachts-Oratorium wurde von unzähligen Menschen erlebt und durch solches Erlebnis bezeugt.